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Selbstreflexion
Neues Jahr, neuer Job? Zeit für eine Bestandsaufnahme
9. November 2022

Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Der ein oder die andere nutzt diese Zeit gern, um
in sich zu gehen und gute Vorsätze für das neue Jahr zu formulieren. Wo möchte
ich mich verbessern, wie will ich mich weiterentwickeln - auch beruflich?

Gerade zum Jahreswechsel werden üblicherweise viele Stellen frei, die neu besetzt
werden müssen. Die Unternehmen buhlen regelrecht um die besten Talente, so
Prof. Maike Andresen, Inhaberin des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre an der
Otto-Friedrich-Universität Bamberg.
Überstürzte Entscheidungen sind dennoch nicht ratsam: «Wenn ich viel Angebot
habe, dann führt das oftmals dazu, dass sich die Zufriedenheit mit dem aktuellen
Job verringert», sagt Andresen.

Nach einem vorschnellen Wechsel des Arbeitgebers verspüren Beschäftigte
zunächst einen Flitterwochen-Effekt, eine Anfangseuphorie ähnlich wie in einer
neuen Beziehung: «Man sieht alles besonders positiv.» Nach einigen Monaten stellt
sich dann aber oft ein sogenannter Flitterwochen-Kater-Effekt ein: «Dann kommt
so langsam die Realität rein und die Arbeitszufriedenheit geht zurück.»

Schritt 1: Die Situation genau reflektieren
Vor einer Kündigung sollte man also erst einmal reflektieren, wie groß die
Unzufriedenheit im Job wirklich ist und woher sie rührt. «Wir brauchen die
Selbstreflexion, um auf dem richtigen Weg zu bleiben oder den richtigen Weg
wiederzufinden», sagt Karriere-Coachin Nelly Simonov.«Ganz einfach ist erst mal
ein Gefühlscheck am Sonntagabend, also sich zu fragen: Wie geht es mir damit,
dass die Arbeitswoche morgen startet?»

Professor Andresen empfiehlt, bei einer beruflichen Bestandsaufnahme
persönliche Karriereziele [https://5c.careers/] zu definieren und zu prüfen,
inwieweit man diese schon erreicht hat. Zu den typischen Karrierezielen gehören
etwa finanzielle Sicherheit, eine Work-Life-Balance im Sinne von genug Freizeit,
Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten oder auch gute Beziehungen am
Arbeitsplatz sowie Unternehmertum.

Schritt 2: An Stellschrauben drehen
Selbst wenn Beschäftigte in der Reflexion feststellen, dass sie wirklich unzufrieden
mit ihrer beruflichen Situation sind - es muss nicht gleich ein Jobwechsel sein.
Christiane Gerwing, Coachin für Persönlichkeitsentwicklung, sieht zwei Wege, die
man einschlagen kann.

Unter Umständen rührt die Unzufriedenheit im Job von Eigenschaften her, die
man selbst mitbringt und die einem auch beim neuen Arbeitgeber Unzufriedenheit
bereiten. Dann sollte man versuchen, «sich durch unterschiedliche Methoden
selbst zu weiterzuentwickeln», sagt Gerwing.

Die zweite Möglichkeit besteht darin, etwas an den konkreten Aufgaben zu
verändern. Hier hilft es, die eigenen Motive zu kennen: Treiben einen besonders
Beziehungen, Herausforderungen, Einflussmöglichkeiten oder Freiheiten an?
«Wenn ich herausfinde, wie stark diese Motive jeweils bei mir ausgeprägt sind und
wie sehr ich sie mit welchem Verhalten bereits umsetze, dann weiß ich schon sehr
viel über mich», so Gerwing. Gemeinsam im Team und mit den Vorgesetzten lässt
sich schauen, inwieweit man die Tätigkeiten den eigenen Motiven anpassen kann:
durch mehr oder weniger Kundenkontakt etwa oder eine Position mit mehr
Handlungsspielraum.
«Im Englischen nennen wir das Career Crafting oder Job Crafting», sagt Maike
Andresen.

Schritt 3: Der Jobwechsel - jederzeit möglich
Und wenn weder die Arbeit an sich selbst noch Anpassungen zu Zufriedenheit
führen? «Wenn alles schon zu Ende gedacht worden ist, dann würde ich sagen:
Verlasse diese Umgebung, diesen Arbeitgeber, und suche nach etwas Neuem», sagt
Nelly Simonov. Spätestens nach sieben Jahren ohne Veränderungen der Position,
der Tätigkeit oder des Gehalts sollte man ihr zufolge ohnehin die Reißleine ziehen:
«Es wird sonst zu gemütlich, der Wechsel wird umso schwerer.»

Dafür eignen sich aber bestimmte Zeitpunkte im Jahr - der Jahresbeginn etwa -
nicht per se besser oder schlechter. Christiane Gerwing empfiehlt, eine neue Stelle
dann anzutreten, wenn man sich besonders entspannt und motiviert fühlt, etwa
nach einem Urlaub: «Damit man mit einer guten Handlungsenergie in den neuen
Job gehen kann.»

© dpa-infocom, dpa:221109-99-449620/4
ZEIT ONLINE hat diese Meldung redaktionell nicht bearbeitet. Sie wurde
automatisch von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) übernommen.

Vogue Business

 

Selbstreflexion: Warum sie so wichtig ist und wie man dabei vorgeht

 

VON LOLA FRÖBE. IM INTERVIEW MIT CHRISTIANE GERWING

Unsere Arbeitswelt wird immer unübersichtlicher, Karrierewege und -möglichkeiten scheinbar unendlich. Was uns auf den (Um)Wegen zum eigenen Traumjob voranbringen kann, ist Selbstreflexion. Eine Expertin erklärt, wie das funktioniert.

 

Warum ist Selbstreflexion wichtig und wie lernt man, sich selbst zu hinterfragen?

 

Digitalisierung, Home Office, New Work – unsere Arbeitswelt wandelt sich so schnell wie nie. Das hat auch Auswirkungen auf unsere Karrieren, denn die verlaufen nicht länger linear. Wir wechseln Organisationen, Branchen und Rollen häufiger als die Generationen vor uns und können heutzutage im Schnitt auf rund fünf unterschiedliche Karrierewege im Laufe unseres Arbeitslebens einstellen.

Begründet liegt das auch in den gewachsenen Ansprüchen, die wir an unsere Arbeit haben: Wir sehnen uns nach Jobs, die nicht nur unsere Miete zahlen, sondern die uns begeistern und erfüllen, in denen wir unsere Stärken nutzen und flexibel arbeiten können, gleichzeitig neue Fähigkeiten erlernen und einen Sinn finden.

 

Selbstreflexion hilft, die persönlichen Werte, Motive und Stärken zu erkennen

Diese Entwicklungen bergen viele Chancen – schließlich muss man sich nicht mehr schon zu Beginn seines Arbeitslebens festlegen und kann viele “Umwege” nehmen, um zu seinem Traumjob zu finden. Gleichzeitig führen die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten und die neuen Erwartungshaltungen nicht selten auch zu Überforderung und Stress.

Um dem besser zu entgegnen und das Beste aus der eigenen Karriere herauszuholen, hilft es, seine persönlichen Werte, Motive und Stärken bestmöglich zu kennen. Dem Aspekt der Selbstreflexion kommt hier eine wesentliche Rolle zu – egal ob man sich in seiner aktuellen Position weiterentwickeln möchte oder eine berufliche Veränderung in Erwägung zieht. “Wissen wir um unsere Motivationen, lassen sich bessere Entscheidungen treffen und Dinge priorisieren, die mehr Erfüllung und Zufriedenheit geben”, so Business Coach Christiane Gerwing. Die Expertin erklärt, was genau es mit der inneren Reflexion auf sich hat und gibt Tipps für eine erfolgreiche Bestandsaufnahme.

 

Was ist Selbstreflexion?

“Bei Selbstreflexion geht es darum, sich selbst zu beobachten und sich dabei insbesondere sein Verhalten und dessen Folgen, aber auch eigene Vorstellungen, Gedanken und Gefühle bewusst zu machen und zu hinterfragen. Indem man das eigene Verhalten kritisch beurteilt, lassen sich daraus Schlüsse für die Zukunft ableiten, um künftig ein verbessertes Ergebnis zu erhalten.” 

Die Technik bezeichnet also den Abgleich von realem und idealem Selbstkonzept und die Fähigkeit, sich kritisch mit sich selbst auseinanderzusetzen. “Neurobiologisch gesehen erfolgt dieser Vorgang in unserer linken Gehirnhälfte, im Objekterkennungssystem. Das ist eines der vier Hauptfunktionssysteme in unserem Gehirn und fungiert als Unstimmigkeitssensor und Fehlerzoom.”

 

Indem man das eigene Verhalten kritisch beurteilt, lassen sich daraus Schlüsse für die Zukunft ableiten, um künftig ein verbessertes Ergebnis zu erhalten. | Christiane Gerwing

 

Mit Erkenntnissen über das eigene Verhalten, über die eigenen Gedanken, Vorstellungen und Ideale erfolgt auch eine Einsicht darüber, was davon beeinflussbar ist, und was nicht – gewisse Elemente der Persönlichkeit und des Wertesystems können und möchten wir schließlich gar nicht verändern. Wenn wir identifizieren, was in unserer Kontrolle liegt und was nicht, hat dies große Auswirkungen auf unsere Fähigkeit zu definieren, wie wir arbeiten wollen.

 

Wie bringt mich Selbstreflexion weiter?

Grundsätzlich ist Selbstreflexion nicht nur empfehlenswert, wenn man unzufrieden ist und etwas ändern möchte. Setzt man sich regelmäßig mit sich selbst auseinander, lassen sich dadurch die eigenen Stärken und Ressourcen multiplizieren. Das lohnt sich: 

Eine Untersuchung des amerikanischen Unternehmens Gallup ergab, dass Mitarbeiter, die ihre Stärken aktiv nutzen, sechsmal effektiver und motivierter im Job sind. Zudem sehen einer Kienbaum-Studie zufolge 94% der befragten Unternehmen Selbstüberschätzung als Ursache des Scheiterns von High Potentials (also eigentlich vielversprechenden Job-KandidatInnen) und 89% die mangelnde Befähigung zur Selbstkritik. 

 

“Durch Selbstreflexion lässt sich erkennen, ob Gefühle, Gedanken und Handeln mit mir selbst übereinstimmen, oder sich etwa an fremden, erlernten Zielen und Bedürfnissen orientieren – und ob sie dem gerecht werden, was in bestimmten Situationen erforderlich ist. Insbesondere wenn man körperlich oder emotional gestresst ist, kann man mithilfe von Selbstreflexion erforschen, was den Stress tatsächlich auslöst – und was den inneren Flow zurückholt, um zu lernen, wie man diesen Zustand häufiger herstellen kann”, so Christiane Gerwing. Kritisches Hinterfragen hilft darüber hinaus bei der Misserfolgsbewältigung und im Zuge des lebenslangen Lernens.

 

Durch Selbstreflexion lässt sich auch erkennen, ob Gefühle, Gedanken und Handeln mit mir selbst übereinstimmen, oder sich etwa an fremden, erlernten Zielen und Bedürfnissen orientieren. | Christiane Gerwing

 

Gerade einer beruflichen oder privaten Veränderung sollte eine kritische Selbstbefragung vorangehen: “Für die eigene Orientierung ist Selbstreflexion außerordentlich bedeutsam. Wie soll ich schließlich wissen, welchen Job ich gerne und gut mache, wenn ich nicht weiß, wie ich unter welchen Umständen handle und emotional reagiere, was mich motiviert oder demotiviert und wie ich das genau steuern kann?”

 

Selbstreflexion: Welche Fragen sollte man sich stellen?

Ein Patentrezept gibt es nicht, da unterschiedliche Situationen unterschiedliche Ansätze erfordern. Unabhängig davon bilden die folgenden Fragen einen guten Startpunkt:

  • Fühlt sich etwas in meinem Leben nicht ideal an?
  • Welche Situationen oder Personen geben mir ein Gefühl von mag ich oder mag ich nicht?
  • Was wollte ich ursprünglich bezüglich eines Themas erreichen? Was ist eingetroffen, was ist ausgeblieben? Was würde ich wiederholen, was würde ich ändern?
  • Welche innere Stimme meldet sich bei bestimmten Themen zu Wort? Welche „Spätmelder“ gibt es, wenn ich später noch einmal darüber nachdenke?
  • Im Falle unschöner Ereignisse: Was ging der Situation voraus? Wie habe ich mich gefühlt, gedacht, gehandelt und was passierte anschließend?
  • Welche Parallelen sehe ich dabei?

Tipps für eine erfolgreiche Selbstreflexion

“Man sollte mit gesundem Selbstbewusstsein in die Reflexion gehen und wissen, dass ein bestimmtes Verhalten vermutlich sinnvoll gewesen ist. Die Reflexion bietet jetzt im Nachgang die Chance, noch einmal ganz offen darauf zu schauen und genau nachzuprüfen. Geschieht die Selbstreflexion nach besonders positiven oder negativen Situationen nicht automatisch, ist es hilfreich, regelmäßige Termine zum Reflektieren festzulegen.” Außerdem empfiehlt die Expertin, ein generelles Gespür für sich selbst zu entwickeln: “Das kann besonders für Menschen hilfreich sein, die ihre eigenen Gefühle nicht so sehr wahrnehmen. Gefühle sind wertvolle Hinweise auf Stimmigkeiten und Unstimmigkeiten und somit eine Möglichkeit für positive Veränderung.” Dabei sollte auf ein gesundes Maß geachtet werden, da übermäßiges Grübeln destruktiv wirken kann.

 

Wie geht es dann weiter?

“Allein die Erkenntnis bewirkt bereits etwas im Fühlen, Denken und Verhalten. Ob diese Erkenntnis dann tatsächlich in die Tat umgesetzt wird, hängt davon ab, ob man überhaupt etwas ändern möchte (Optimierungswille) oder sollte – wenn es etwa im Job oder persönlich weiterhilft, und ob genügend Eigenmotivation und Dranbleiben vorhanden sind (beides kann man erlernen). Ein professionelles Coaching kann diesen Prozess unterstützen.

Welche Entschlüsse also im Anschluss gezogen werden, ist eine individuelle Frage. Innere Reflexion ist in jedem Fall essentiell, um eine klarere Sicht darauf zu bekommen, was für uns im Job funktioniert und was nicht, um daraus zu lernen und eine Entwicklung zum Positiven zu bewirken – das gilt übrigens auch für das Privatleben.

 

Christiane Gerwing ist Coach für Persönlichkeitsentwicklung und Arbeitsplatzthemen in Hamburg.

Mehr über ihre Arbeit erfahren Sie auf ihrer Webseite.

040 – 88 12 88 38 | 0172 – 417 41 58 | E-Mail